Cafe Palestine Freiburg e.V. ist ein politisch- kulturelles Forum, das über die Situation im Nahen Osten berichten, persönliche Schicksale vorstellen und namhafte Referenten zum Thema einladen möchte. Die kulturelle Vielfalt Palästinas soll durch kleine Konzerte, palästinensische Folklore, Literatur und Kunst gezeigt werden.

Freitag, 8. April 2011

Über unsere Referentin Roni Hammermann

http://www.amnesty.de/umleitung/2007/deu05/110?lang=de%26mimetype%3Dtext%2Fhtml


Amnesty Journal Juli 2007

»Die Checkpoints bringen nur Hass« Interview mit Roni Hammermann   
Ein Gespräch mit Roni Hammermann von der israelischen Menschenrechtsorganisation Machsom Watch.


Was gab den Impuls für die Gründung von Machsom Watch?
Zu Beginn der Intifada häuften sich Berichte über Menschenrechtsverletzungen an den Checkpoints. Als ich las, dass eine Frau an einem Checkpoint gebären musste, weil sie nicht durchgelassen wurde, war ich so erschüttert, dass ich beschloss, mir das vor Ort anzusehen. Und offensichtlich hatten sich das auch andere Frauen gedacht. Wir waren etwa ein Dutzend Frauen in Jerusalem, die zu den Checkpoints gingen. Anfangs haben wir ja nicht begriffen, was sich dort abspielt. Inzwischen haben wir viel gelernt, und heute sind es 400 Frauen in ganz Israel, die zu den Checkpoints in den besetzten Gebieten gehen. Wir sind Israelis und haben das Recht zu wissen, was in unserem Namen an den Checkpoints passiert.


Wie sieht die konkrete tägliche Arbeit von Machsom Watch aus?

Wir schließen uns zu zwei oder drei Frauen zusammen und gehen zu den Stoßzeiten am Morgen und am Nachmittag zu den Checkpoints. Wir beobachten, was geschieht und greifen ein, wenn es notwendig ist. Es ist auch schon vorgekommen, dass sich Palästinenser an uns gewandt haben, deren Haus zerstört werden sollte. Wir sprechen mit den Soldaten und appellieren an ihr Urteilsvermögen. Unsere Monats- und Jahresberichte veröffentlichen wir auf unserer Homepage. Diese Dokumentation ist unser Hauptanliegen, denn wir sind außer dem Militär die einzigen, die sich regelmäßig an den Checkpoints befinden. Wir lobbyieren auch im Parlament und beim Militär.


Wie sieht die Lage an den Checkpoints aus?

In den sechs Jahren, in denen wir nun vor Ort sind, haben wir eine spürbare Verschlechterung feststellen müssen. An den Grenz-Checkpoints bekommt man keinen Kontakt mehr zu den Soldaten, weil sie hinter undurchsichtigem Panzerglas sitzen. Man kann auch nicht mit ihnen sprechen. Wir Frauen von Machsom Watch sind immer weniger erwünscht. Einige Mitglieder von uns sind verhaftet worden.
Die Situation für die Palästinenser verschlechtert sich, denn es gibt immer mehr Checkpoints. Die Zahl der für Palästinenser verbotenen Verkehrswege nimmt zu, denn zwischen den israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten bestehen Straßen, die für Palästinenser verboten sind. Immer häufiger werden besondere Erlaubnisse gefordert, um einen Checkpoint zu passieren. Manche Erlaubnisse gelten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, andere für einen ganzen Tag. An israelischen Feiertagen ist die Westbank ganz abgeriegelt. Im Jahr 2005 konnten Palästinenser an 132 Tagen die Checkpoints nicht passieren. Und selbst wenn sie geöffnet sind, dauert es manchmal Stunden, bis man sie passieren kann. Kranke kommen nicht ins Krankenhaus, Mütter nicht zu ihren Kindern.


Hatten Sie in der Vergangenheit Einfluss auf die Soldaten?

Ja. Vor allem bei kranken Kindern kann man nicht erst eine Genehmigung holen, wenn es dringend ist. Oder wenn wir gesehen haben, dass eine Person willkürlich zu lange am Checkpoint aufgehalten wurde, konnten wir darauf einwirken, dass diese Person passieren konnte. Bei Schlägereien sind wir auch physisch dazwischen gegangen. In unserer Gegenwart geht es allerdings in der Regel schneller und glatter, weshalb die Palästinenser oft sagen, wir sollten am besten rund um die Uhr am Checkpoint anwesend sein.


Gibt es innerhalb der israelischen Bevölkerung ein Bewusstsein dafür, was an den Checkpoints passiert?

Im Laufe der letzten Jahre ist es uns mehr und mehr gelungen, das Thema in die israelische Öffentlichkeit zu bringen. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Checkpoints innerhalb des palästinensischen Gebiets liegen und Dörfer voneinander trennen. Nicht nur wir, sondern auch einige Militärs sind inzwischen der Meinung, dass diese inneren Checkpoints nur Hass hervorbringen. Wir laden die Öffentlichkeit auch immer wieder dazu ein, uns zu den Checkpoints zu begleiten. Ich habe noch niemanden gesehen, der nach drei bis vier Stunden an so einem Checkpoint gleichgültig geblieben ist. Wir organisieren auch Touren zu der Mauer, die ja in der Westbank steht und nicht in Israel. Wir wollen zeigen, welche Auswirkungen die Mauer auf das Leben der Palästinenser hat.

Nun ist die Mauer ja auch eine Konsequenz aus der zweiten Intifada und den palästinensischen Selbstmordattentaten in Israel. Und die Zahl der Attentate ist in den letzten Jahren drastisch gesunken.

Der Rückgang der Attentate ist nicht auf die Mauer zurückzuführen, die ja immer noch nicht vollständig steht, sondern noch lückenhaft ist. Vielmehr gab es ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und den Palästinensern, das streng eingehalten wurde. Ein Dialog kann also die Gefahr eindämmen. Doch Israels Politik der gezielten Tötung hat dazu geführt, dass das Abkommen keinen Bestand mehr hatte. Unilaterale Schritte haben keinen Erfolg, nur gleichberechtigte Verhandlungen bringen einen Fortschritt. Wir müssen auch mit Hamas verhandeln.


Mit Hamas hat eine Partei die letzten Wahlen gewonnen, die das Existenzrecht Israels nicht eindeutig anerkennt und somit eine Bedrohung darstellt. Sollte man vor diesem Hintergrund nicht Verständnis haben für ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis Israels?

Für jedes erhöhte Sicherheitsbedürfnis von Israel muss man Verständnis haben. Hamas war schon bereit, mit Israel zu verhandeln, und das war eine de-facto Anerkennung. Nur durch Verhandlungen mit den gemäßigten Kräften innerhalb von Hamas, die es ja gibt, kann man eine Veränderung ihrer Programmatik herbeiführen. Vielleicht nicht sofort, aber sicherlich im Laufe der Zeit. Außerdem haben viele Leute Hamas gewählt, weil sie so verzweifelt über Fatah waren, also eher aus innerpalästinensischen Gründen.


Inwieweit arbeitet Machsom Watch mit anderen Menschenrechtsorganisationen zusammen?

Wir kooperieren mit »Ärzte für die Menschenrechte«, die wir auf Fälle aufmerksam machen oder mit »Bet’selem«, die Material von uns bekommen. Wir sind auch ein Teil der Koalition »Frauen für einen gerechten Frieden« und machen gemeinsame Aktionen.


Was kann eine Menschenrechtsorganisation wie amnesty international in dieser Situation leisten?

Ich verstehe, dass amnesty international Einzelfallarbeit macht. In diesem Bereich leistet die Menschenrechtsorganisation auch sehr viel. Wir von der Organisation Machsom Watch wünschen uns eine verstärkte Kooperation, denn wir können Informationen liefern, was in den Gefängnissen, in den besetzten Gebieten und an den Checkpoints passiert. Und amnesty international kann diese Informationen aufgreifen.


Schauen Sie optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft?

Ich bin optimistisch – sonst könnte ich meine Arbeit nicht machen, nicht immer wieder zu den Checkpoints oder Militärgerichten gehen. Ich muss optimistisch sein.



Interview: Ali Al-Nasani

Roni Hammermann

Hammermann, geboren 1940 in Israel, lebte von 1947 bis 1969 mit ihren ­Eltern in Wien. Sie arbeitete an der Hebräischen Universität von Jerusalem als Lektorin für slawische Literatur, später als Bibliothekarin. 2001 gründete sie mit anderen die Organisation »Machsom Watch«.
http://www.machsomwatch.org/

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http://www.friedenskooperative.de/ff/ff08/5-28.htm

Rede von Roni Hammermann

Rede zur Verleihung des Aachener Friedenspreises 2008 an MachsomWatch
Roni Hammermann

 
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde.

Stellvertretend für 400 israelische MachsomWatch-Frauen möchte ich Ihnen für die große Ehre danken, mit der Sie unsere Organisation durch die Verleihung des Aachener Friedenspreises 2008 ausgezeichnet haben. Unter den zahlreichen Gruppen des israelischen Friedenslagers ausgewählt zu werden, ist für uns aber nicht nur Ehre, sondern auch Verpflichtung. Verpflichtung, weiterhin Zeugnis abzulegen über die schweren Menschenrechtsverletzungen, die sich in den besetzten Gebieten an den Checkpoints und Mauerübergängen tagtäglich ereignen, und das Schweigen darüber zu brechen, das sich leider viele unserer Landsleute auferlegt haben.

Als im Februar 2001 drei Frauen um fünf Uhr früh auf dem Checkpoint zwischen Jerusalem und Bethlehem auftauchten, wurden sie von den verblüfften Soldaten gefragt, was sie denn dort zu suchen hätten. In ihrer Verwirrung wussten sie keine Antwort. Trotz dieser missglückten Premiere ahnten sie schon damals, dass sie auf eine neuralgische Stelle der Besatzung gestoßen sind, auf den Punkt, in dem sich die Besatzung in ihrer ganzen Unmenschlichkeit und Grausamkeit manifestiert - nämlich auf die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, die die israelische Armee der palästinensischen Bevölkerung auferlegt. Diese Maßnahme ist deshalb so hart und unbarmherzig, weil sie alle Palästinenser betrifft und weil sie Kollektivbestrafung ist. Im Laufe der letzten Jahren wurden diese Methoden, Macht und Kontrolle über die Palästinenser auszuüben, stark "perfektioniert". Die Anzahl der physischen Barrieren ist auf über 600 angewachsen (einschließlich 88 bemannter Checkpoints). Die Trennmauer, 2002 begonnen, ist heute schon zu 75 Prozent aufgebaut, Straßen wurden zu Straßen "nur für Israeli" erklärt, und die Westbank wurde in 9 Kantone auseinandergerissen. Diesem physischen Beschränkungsmechanismus, liegt ein weitverzweigtes bürokratisch-administratives System von Verboten und Genehmigungen zu Grunde, das heute schon wahrhaft monströse Dimensionen angenommen hat. Und als wäre das noch nicht genug, schwebt über all diesen Maßnahmen das Damoklesschwert der totalen Abriegelung der Westbank von Israel. An Tagen, an denen die Westbank abgeriegelt ist, und das waren im Jahre 2006 78 Tage, (2005 132 Tage) steht das Leben still. Es gibt kein Kommen und Gehen, alle Genehmigungen sind aufgehoben, Menschen sind an den Checkpoints gestrandet, hilflos, ausgeliefert.

Dementsprechend schwer sind die Folgen dieser Einschränkungsmaßnahmen für das Leben der Palästinenser. Es ist nicht möglich, eine konkurrenzfähige Wirtschaft zu entwickeln, wenn Menschen und Fahrzeuge alle paar Kilometer aufgehalten, untersucht und auf fast unbefahrbare Nebenwege umgeleitet werden. Es ist nicht möglich, ein Erziehungssystem aufrecht zu erhalten, wenn Lehrer und Schüler nicht rechtzeitig oder gar nicht in die Schulen kommen können. Es ist nicht möglich, ein halbwegs funktionierendes Gesundheitswesen zu wahren, wenn die Kranken ihre Ärzte und die Ärzte die Kliniken und Krankenhäuser nicht erreichen können. Der Zeitraub an den Checkpoints und in den Büros der Zivilbehörde, die Unmöglichkeit, sich die für alle Lebensbereiche nötigen Genehmigungen zu verschaffen, die tagtäglichen Entwürdigungen an den Straßenkontrollen, all das erzeugt Verzweiflung und Hass, führt zu einer Radikalisierung der Bevölkerung und ist letzten Endes kontraproduktiv für die sogenannte "Sicherheit", die ja all diese Maßnahmen rechtfertigen soll.

Wir sind eine Gruppe ausschließlich von Frauen. Unsere Tätigkeit ist ehrenamtlich. Als Frauen sehen wir uns dem militärischen Diskurs entfremdet, der die israelische Gesellschaft so total beherrscht. Unsere Absicht ist es, eine Zivilperspektive - ein ziviles Auge - in diese Räume zu bringen, die völlig von Militärlogik durchdrungen sind. Die Dokumentation dessen, was wir mit eigenen Augen gesehen haben, ist unsere Hauptaufgabe. Wir wollen der ganzen Welt, aber vor allem unseren Landsleuten vor Augen führen, was in ihrem Namen in den besetzten Gebieten geschieht.

Viele Menschen in unserem Land leben in permanenter Angst. Angst vor dem Feind, vor dem Selbstmordattentäter, vor der Hisbollah, vor dem Hamas, vor Irak und neuerdings auch vor Iran. Diese Angst wird ganz bewusst von der israelischen Regierung geschürt, denn Menschen die in ewiger Angst leben, sind rationalen Argumenten nicht zugängig und eher bereit, gewaltsame Maßnahmen gegen das Objekt der Angst zu akzeptieren, wie zum Beispiel den Bau der Trennmauer. Die Botschaft, die wir unseren Landsleuten aus unseren Erfahrungen an den Straßensperren vermitteln möchten, ist die, dass die Angst uns nur lähmt und unseren Blick trübt und dass jenseits der Mauer Menschen leben, die nichts anderes wollen als ein freies menschenwürdiges Leben zu führen, ohne Unterdrückung, ohne Landraub und ohne Erniedrigung. Nicht nur die Betonmauern müssen wir abbauen, sondern auch die Mauern der Feindbilder, die den "Anderen" dehumanisieren. Wir dürfen es nicht zulassen, dass wir der Politik der Angst verhaftet bleiben und von unseren Politikern zu Feinden manipuliert werden.



Roni Hammermann hat den Aachener Friedenspreis für die Freiwilligenorganisation israelischer Frauen MachsomWatch am 1. September 2008 entgegengenommen.